J. Monika Walther
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Was mache ich heute?

April 2005

"Ich wollte immer schon legal töten, ich wollte immer schon jenes Gefühl haben. Ich weiß ich kann überleben, wenn ich genauso werde wie das, was ich bekämpfe. Kein Mitgefühl, keine Emotionen. Keine Liebe im Krieg. Totale Gnadenlosigkeit. Ich werde töten ohne Mitgefühl für meinen Feind, auch wenn's Frauen sind. Dieses Feeling will ich, das ist besser als jede Droge."

Auskunft eines britischen Söldners, der auf kroatischer Seite gegen die Serben kämpfte.

Das Modell des Kriegsvölkerrechts ist nicht anwendbar auf die neuen Kriege, in denen die Gegner auf unterschiedlichen Ebenen kämpfen: Staaten, Militär, Politik - gegen Freischärler, Terroristen, ethnische Banden, religiöse Identität In Westeuropa sind die Militär im Verteidigungsfall, aber auch im Spannungsfall zuständig, zivile Objekte zu schießen, der Spannungsfall ist aber nicht definiert: wie viele Selbstmordattentäter, wie viele Banden ergeben einen nationalen Spannungsfall? Die westlichen Gesellschaften reagieren auf den Terrorismus überwiegend mit Verdrängung und Wunschdenken. Ein solches Wunschdenken ist, dass eine Intensivierung des Dialogs der Kulturen zum Verschwinden der heroischen Selbstmordattentate führen werde.

Aber wir sind Zeitzeugen einer Privatisierung des Krieges, die neuen Gegner sind der Söldner, der Kindersoldat, der Marodeur, der Warlord und der international vernetzte Terrorist.

Zwischen 1945 und 1990 wurden über zwanzig Millionen Menschen, meist Zivilisten, in kriegerischen Auseinandersetzungen getötet. Bis zu einer Million Menschen sterben jährlich in den neuen Kriegen - als Opfer oder Täter. Im Augenblick befinden sich über 21 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg und Folter.

Die Selbstmordattentate sind wohl die große Herausforderung für die westlichen Gesellschaften. Der Strategie dieses Krieges werden wir nur dann effektiv begegnen können, wenn deren Planer spüren, dass sie sich an einer Mischung aus politisch-militärischer Entschlossenheit und mentaler Gelassenheit die Zähne ausbeißen. Aber davon sind wir weit entfernt. Die Politik reagiert gar nicht oder hysterisch. Unser politisches Denken taugt nicht für die neuen Kriege.

Krieg ist nicht mehr eine Auseinandersetzung unter Gleichen, sondern jede Partei benutzt unterschiedliche Formen der Gewalt: die Amerikaner träumen von einem technisch perfekten Krieg, geführt von Computern, von einem Network centric Warfare; den Selbstmordattentätern geht es um die Suche um die Zerstörung der globalen Kontrolle durch die Großstädte. So wird Krieg zum Dauerzustand und immer mehr Länder werden in die neuen Kriegsaktionen verwickelt: in Gewalt, Traumatisierung und Sprachlosigkeit.

Je länger diese kleinen Kriege dauern, desto weniger ist die betroffene Gesellschaft in der Lage, gemeinsame Interessen zu artikulieren. Die Macht fälltt den Warlords und privaten Sicherheitsunternehmen zu: sie wollen den Krieg fortsetzen, auch wenn dies den Ruin von 95 Prozent der Bevölkerung bedeutet. Krieg wird zum Lebensinhalt, vom Frieden wird Arbeitslosigkeit erwartet. Es sind die westlichen Gesellschaften, die in den neuen Kriegen erheblich mehr zu verlieren haben, als die armen und rückständigen Staaten und Kriegsakteure. Die Zeit arbeitet für die Schwächeren. Für sie kann kein Krieg lang genug dauern. Ohne Politik; denn Politik arbeitet mit staatlichen, hierarchisch aufgebauten Organisationen. Mit einem disziplinierten Personal.

Die neuen Kriege kennen keine Sicherheitszonen. Jeder Ort wird zum Ziel. Die Regeln des Staatenkrieges sind außer Kraft gesetzt. Keine Konvention gilt. Die neuen Kriege kennen auch keine Schlachten. Die Ressourcen der industriellen Kriege zählen wenig. Terrorkrieg benötigt keine Politik und keine Diplomaten. Die welthistorischen Erzählungen sind zu Ende. Stattdessen gibt es die Geschichte der Globalisierung, vorangetrieben in Luxushotels von Politikern und Handelsvertretern aller Branchen. Es geht um den Austausch von Gütern und Idealen, von Waffen und Menschenrechten. Und - es gibt die Geschichte außerhalb der Luxushotels: Die Geschichte von kleinen Kriegen und Chaos, von Wasserknappheit und Malaria, vom Verhungern. Es sind die Elenden, die im globalen Terrorkrieg die Bewohner der ersten Welt bedrohen. Während die Geheimdienste im gesamten globalen Dorf nach Marodeuren und den neuen Kriegern suchen. Once upon a distant war - es war einmal ein entfernter Krieg wie in Vietnam, im Kongo, das gilt nicht mehr.

"Eine Quelle der Gewalt ist die Vorstellungskraft." Sagt der Soziologe und Publizist Wolfgang Sofsky. Wer Kriege und Gewalt beseitigen will, muss die Menschen abschaffen. Menschen können gut sein, aber sie können auch anders. Machiavelli und Hobbes sehen den Menschen als ein von Leidenschaften getriebenes Wesen, die Gesellschaft als ein Feld von unversändlichen Machtkonflikten. Europäische Geschichte ist die Geschichte des Anwachsens der Vernunft im Staatenhandeln. Die neuen Probleme entstehen durch das Zurückfallen hinter diese Entwicklung.

Die Geschichte der Kriege nach 1945 ist für die Militär der modernen Staaten eine Geschichte der Desaster. Mit strategischen Operationen und den Arsenalen der Großmächte war kein Vietnam-Krieg, kein Kolonialkrieg zu gewinnen. Massive Interventionen Dritter können eine Waffenruhe für kurze Zeit erzwingen - oder ein verlustreiches Protektorat errichten.

Kriegsgesellschaften sind geprägt von Schmerz, Elend und Sterben. Eine Kriegsgesellschaft ist nicht zu verwechseln mit einem Nationalstaat, der sich rüstet, der seine Truppen mobilisiert. Kriegsgesellschaften sind Sozialformen, die aus Krieg bestehen. Den Krieg zu denken plant Gesellschaft als Tod des Sozialen. Ohne Waffenstillstand, ohne Pause, ohne Sicherheitszonen. Totaler Krieg. Ich bin in die Tr쭭er eines totalen Krieges und Raubzuges hineingeboren.

Wer heute mit allen verhandelt, leistet Beihilfe und Anerkennung für Terroristen, Stabilisierung der neuen Kriege, aber - ohne Tribut an die Warlords und Mordbrenner sind Hilfslieferungen nicht in ein Krankenhaus zu bringen. Also überlassen die Großmächte immer öfter die begonnenen Kriege sich selbst und den Bombenlegern. Und diese Kriege dauern, auch dann noch, wenn die Gesellschaft, der Staat längst zerstört sind, denn sie locken all die Menschen an, die ihr Überleben, ihre Gottgefälligkeit im Krieg suchen und all diejenigen für die Krieg, Scharmießel, Gewalt die einzige Lebensform ist. Der internationale Gerichtshof in Den Haag ist ein Versuch, Gesetze gegen Massenmörder und Terroristen vollziehbar zu machen. Auch gegen diejenigen in Generalsuniform und gegen Staatsmörder.

Mit dem Ende des Ost-West- Konfliktes, mit Ende des Raketenschachs, ist keine friedlichere Welt entstanden. Im Gegenteil: Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt: "peace keeping operations" stehen im Zeichen des Krieges. Wer Soldaten in größerer Zahl an einen Ort schickt, weiß dass dort der Frieden auf längere Sicht nur mit Waffen und das heißt mit deren Einsatz zu sichern ist. Aber auch diese Einsätze sichern weder die alte noch eine neue Ordnung.

"Dankbarkeit verbindet die Menschen miteinander, das Gewissen schießt sie voreinander." Es ist der Schmerz, der die Moral ins Gedächtnis schreibt, immer wieder aufs Neue. Und -es gibt Gesetze: Gesetze gegen Volksverhetzung, Gesetze gegen Menschenhandel, Gesetze gegen Gewalttaten, Gesetze gegen Massenmord, Gesetze gegen Kriegsverbrechen: Diese Gesetze durchzusetzen, signalisiert, dass Schuld nicht ignoriert wird.

Moralische Leisetreterei kann sich keine Gesellschaft leisten: die neuen Kriege beginnen überall.

Drei Monate habe ich an einem Feature über die neuen Kriege gearbeitet. Ganz müde bin ich dabei geworden, weil ich so gerne glauben wollte, dass sich die Ratio weiter ausbauen ließe, und auch die Domestizierung des Menschen. So ist es aber nicht. Die neuen "intelligenten" Bomben können so gesteuert werden, dass sie mit neunzig Prozent Wahrscheinlichkeit ihr Ziel treffen: nur die Kürze der Menschen können nicht berechnet werden.

Was mache ich heute? Die Kirschblüten bestaunen, wie sie duften. Und eine Kurzgeschichte schreiben.

J.